Direkt zu den Inhalten springen

Verheerendes Signal für digitale BarrierefreiheitGrundsicherung: Online-Antrag verschwindet spurlos

Weil die Erwerbsminderungsrente von Erwin P. (Name geändert) nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt davon bestreiten zu können, beantragen er und seine Frau Jutta (Name geändert) Grundsicherung im Alter über das eigentlich dafür vorgesehene Online-Portal der Region Hannover. Nach einigen Wochen ohne jegliche Rückmeldung hakt Jutta P. nach: Der Antrag ist angeblich nie eingegangen. Nachdem das Ehepaar einen weiteren Antrag in Papierform stellt, bekommt Erwin P. erst einen ablehnenden Bescheid, dann eine rückwirkende Bewilligung und schließlich eine weitere Bewilligung bis Anfang 2025 – auf welchen Antrag sich diese Schreiben beziehen, bleibt allerdings unklar. Unterstützt werden Erwin und Jutta P. in diesem Behörden-Chaos vom SoVD-Beratungszentrum in Hannover.

Als Erwin P. Anfang des Jahres die Benachrichtigung bekommt, dass ihm aufgrund einer zugesprochenen Erwerbsminderungsrente nur noch wenige Wochen Bürgergeld gezahlt werden und klar ist, dass diese Rente zu niedrig ist, um davon leben zu können, stellt er mit Unterstützung seiner Frau Jutta über das Portal der Region Hannover sofort einen Online-Antrag auf Grundsicherung im Alter. „Ich helfe meinen Mann aus gesundheitlichen Gründen bei solchen Behördenangelegenheiten“, erklärt Jutta P. Nachdem das Ehepaar über einen Monat nichts hört, fragt Jutta P. erst bei der Region Hannover und dann beim Grundsicherungsamt nach. Der gestellte Antrag liegt beiden Behörden angeblich nicht vor. „Es kann nicht sein, dass so ein wichtiger Online-Antrag einfach verlorengeht. Zumal wir ihn ja schließlich über ein extra dafür vorgesehenes Portal gestellt haben. Wenn ein solcher Service angeboten wird, muss das auch funktionieren“, kritisiert das SoVD-Mitglied. Es bleibt ihr und ihrem Mann nichts anderes übrig, als erneut die Grundsicherung zu beantragen – dieses Mal tun sie dies allerdings mit einem Papierantrag.

Nach einem ablehnenden Bescheid braucht Erwin P. dringend finanzielle Unterstützung

Daraufhin tut sich etwas. Erwin P. wird gebeten verschiedene Unterlagen, wie etwa Kontoauszüge, ergänzend nachzureichen. „Das hat uns zumindest die Gewissheit gegeben, dass unser Antrag endlich bearbeitet wird“, sagt Jutta P. Wenig später dann der Schock: Eine Grundsicherung für Erwin P. wird wegen eines zu hohen Vermögens abgelehnt. Um die finanzielle Notlage etwas abfangen zu können, entschließt sich das Ehepaar, beim Grundsicherungsamt ein Darlehn zu beantragen. Denn: Inzwischen bekommt Erwin P. nur noch seine sehr niedrige Erwerbsminderungsrente gezahlt. „Dazu kam, dass mein Mann wegen seines Gesundheitszustandes jetzt mehr Pflege braucht und deshalb in eine entsprechende Einrichtung umgezogen ist. In diesem Zusammenhang sind hohe Kosten, zum Beispiel für ein Pflegebett, angefallen, die wir alleine nicht hätten stemmen können. Zusätzliche Hilfe haben wir zum Glück von Bekannten bekommen, die uns finanziell unter die Arme gegriffen haben“, beschreibt Jutta P.

Ganz überraschend kommt noch einmal Post

Zwei Wochen später liegt dann plötzlich ganz überraschend ein positiver Bescheid im Briefkasten. Von einem zu hohen Vermögen ist darin keine Rede mehr. Stattdessen bekommt Erwin P. nun rückwirkend zum Jahresanfang die Grundsicherung im Alter zugesprochen. Knapp einen Monat später folgt eine Bewilligung für die kommenden neun Monate. „Wir waren mehr als verwundert über den Richtungswechsel, sind aber natürlich froh, dass mein Mann doch Anspruch auf Grundsicherung hat. Auf welchen Antrag sich die ganzen Bescheide eigentlich beziehen, wissen wir aber bis heute nicht. Auch von dem beantragten Darlehn haben wir dann komischerweise nie wieder etwas gehört“, erzählt Jutta P.

Für den SoVD ist das Behördenchaos inakzeptabel

Dieses Behörden-Chaos müssen Erwin und Jutta P. glücklicherweise nicht alleine durchstehen: „Ich habe mich über die letzten Monate immer wieder an den SoVD gewendet. Dort wurde mir mit den verschiedenen Bescheiden geholfen und ich habe sehr hilfreiche Tipps bekommen. Über diese Unterstützung war ich sehr froh, denn sie hat mir während dieses Hin und Hers, das uns ziemlich verunsichert hat, den Rücken gestärkt“, berichtet Jutta P. „Meine Kollegen und ich standen Frau P. gerne beratend zur Seite. Denn die gesamte Situation, in die Familie P. gebracht wurde, ist absolut inakzeptabel und noch dazu unnötig belastend. Und dass, obwohl die Möglichkeit, einen Antrag elektronisch zu stellen, eigentlich genau das Gegenteil bewirken soll. Dass Herr P.s Grundsicherungsantrag angeblich nicht aufzufinden war, ist nicht nur ein Unding, sondern auch ein verheerendes Signal für die digitale Barrierefreiheit in Deutschland“, bemängelt Sozialberaterin Melinda Junike-Kleinhorst.

Insgesamt musste Erwin P. über ein halbes Jahr auf die Zahlung einer Grundsicherung warten. „Dabei beantragt man Grundsicherung doch, weil man finanziell darauf angewiesen ist. Ich finde es einfach nur unglaublich, wie mit uns umgegangen wurde“, moniert Jutta P. Auch Melinda Junike-Kleinhorst schließt sich der Kritik weiter an: „Zwar wurde rückwirkend zuerkannt, was grundsätzlich nicht immer der Fall ist. Trotzdem hat Erwin P. vier Monate eine Sozialleistung nicht erhalten, die ihm zusteht, obwohl der Antrag eigentlich rechtzeitig genug gestellt wurde. Ein haarsträubendes Beispiel dafür, dass bei manchen Behörden oft einiges falsch läuft“, bewertet die Sozialberaterin den Fall von Erwin P.