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SoVD fordert Maßnahmen für mehr TeilhabeKaum barrierefrei: ÖPNV-Nutzung wird zur Tortur

Susanne Borchers muss für längere Wege und Arztbesuche einen Rollstuhl nutzen – diese stehen aufgrund verschiedener gesundheitlicher Einschränkungen mehrmals im Monat an. Das große Problem: Das SoVD-Mitglied ist auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, doch dadurch sind ihre Wege alles andere als barrierefrei und nehmen sehr viel mehr Zeit in Anspruch. Der SoVD fordert einen massiven barrierefreien Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), um Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe zu ermöglichen.

Seit einem Unfall auf dem Weg zur Arbeit benötigt Susanne Borchers im Alltag oft einen Rollstuhl. „Ich habe nicht mehr die Kraft, alle Wege nach Hannover zu Therapeuten und Ärzten mit Krücken zu schaffen“, beschreibt das SoVD-Mitglied. Mindestens alle zwei Wochen ist Susanne Borchers deshalb auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Doch durch eine Vielzahl von Hürden, die ihr das Reisen unnötig erschweren, und einem eklatanten Mangel an Barrierefreiheit im gesamten ÖPNV werden diese Fahrten für sie oft zur Tortur. „Von Wunstorf bis Hannover braucht man eigentlich nur 38 Minuten. Ich plane aktuell immer eine Stunde Puffer ein, weil ich nie weiß, was auf mich zukommt. Es kommt sogar vor, dass ich für eine Fahrt zwei Stunden brauche. Dass ich mich mindestens 24 Stunden vorher anmelden muss, wenn ich zum Beispiel die Bahn nehmen möchte, macht das Ganze nicht weniger stressig und kompliziert“, beklagt Susanne Borchers. Gründe für die lange Reisezeit sind unter anderem defekte Rampen, sodass die Wunstorferin mit ihrem Rollstuhl nicht in Bus oder Bahn kommt, sowie Überfüllung der Verkehrsmittel. Denn als Rollstuhlfahrerin wird sie nicht automatisch mitgenommen. Wenn etwa der Bus sehr voll oder der Rollstuhlplatz schon belegt ist, wird die 46-Jährige einfach stehengelassen. Auch Fahrstühle an Bahnhöfen werden zum unüberwindbaren Hindernis, wenn sie über mehrere Monate nicht nutzbar sind. Dann bleibt Susanne Borchers keine andere Möglichkeit, als „Stations-Hopping“ zu betreiben, also an einer anderen Haltestelle auszusteigen und sich von dort einen alternativen Weg zu ihrem Ziel zu suchen – immer in der Hoffnung, dass sie nicht noch mehr böse Überraschungen erlebt. „Die Schwierigkeiten, die Frau Borchers beschreibt, sind leider bei Weitem kein Einzelfall“, weiß Dirk Swinke, Vorstandsvorsitzender des SoVD-Landesverbands Niedersachsen. „In unserer täglichen Arbeit stoßen wir immer wieder auf die mangelnde Barrierefreiheit des ÖPNV bei uns in Deutschland und wissen, welche Belastung sie für Betroffene darstellt. Vor allem auf dem Land muss deshalb dringend für einen massiven barrierefreien Ausbau, eine bessere Infrastruktur, mehr Personal und Fahrzeuge gesorgt werden.“

Die mangelnde Barrierefreiheit ist eine Belastung für die Gesundheit

Auch für Susanne Borchers sind die Umwege und Verzögerungen enorm belastend und haben gesundheitliche Folgen. „Wenn ich nach einem Arzttermin nach Hause komme, falle ich tagelang aus, bin total erschöpft und kann mich nicht richtig um meine Kinder kümmern. Dann ist sogar das Essen und Trinken schwer für mich. Im schlimmsten Fall muss ich ins Krankenhaus. Zum Glück habe ich meinen Mann, der mich unterstützt“, berichtet sie. Besonders der Zeitfaktor stellt ein wirklich ernstzunehmendes Problem dar, denn die Wunstorferin braucht regelmäßig Sauerstoff, mit dem sie unterwegs nur für drei Stunden sicher versorgt ist. Zudem muss sie immer bedenken, dass ihr Rollstuhl mit einer Akkuladung maximal elf Kilometer zurücklegen kann – da wird es manchmal sehr knapp. „Auf ihrer Homepage spricht die ÜSTRA von ‚barrierefreiem Nahverkehr und gleichwertigen Mobilitätschancen‘. Davon ist die Realität weit entfernt. Frau Borchers berichtet zum Beispiel davon, dass sie die neue S-Bahn nur eingeschränkt nutzen kann, da die Rollstuhlplätze für sie nicht von allen Seiten erreichbar sind. Obwohl ihr Elektro-Rollstuhl Standardmaße hat, sind die Waggons an verschiedenen Stellen zu eng für ihr Hilfsmittel. Hier wurde wieder einmal die Barrierefreiheit nicht vollumfänglich mitgedacht“, kritisiert Swinke.

Als eine Verbesserungsmaßnahme würde sich Susanne Borchers wünschen, besser informiert zu werden. „Es ist sehr ärgerlich, dass die Apps keine zuverlässigen Hinweise auf kaputte Toiletten oder Aufzüge bieten. Zusätzlich könnten die Infobildschirme in den Bahnen dafür genutzt werden, Hinweise anzuzeigen, wo etwas nicht funktioniert. Dann müsste ich mich nicht erst umsonst auf den Weg machen oder aussteigen“, schlägt das SoVD-Mitglied vor.

Der SoVD fordert mehr Barrierefreiheit

Dirk Swinke fordert ganz konkret: „Barrierefreiheit muss ausnahmslos mitgedacht werden, denn davon profitieren alle Menschen. Neben dem flächendeckenden Ausbau des Nahverkehrs, barrierefreier Wegstrecken und der Etablierung eines verlässlichen Busliniennetzes müssen Bedingungen für einen sicheren Zugang und die Bezahlbarkeit für alle geschaffen werden. Außerdem müssen nachhaltige Mobilitätkonzepte entwickelt werden, die die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigen. Die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken kann maßgeblich dazu beitragen. Zudem müssen neben digitalen auch analoge Angebote zum Fahrscheinerwerb verfügbar sein, denn nicht jeder kann ein Smartphone problemlos nutzen. Nur, wenn endlich umfängliche Maßnahmen angegangen werden, kann nicht nur die Teilhabe mobil eingeschränkter Menschen, sondern auch die von Menschen mit Sehbehinderungen sowie kognitiven Einschränkungen und Lernschwierigkeiten, tauben Menschen oder Menschen mit Hörbeeinträchtigungen im ÖPNV gestärkt und mehr Flexibilität erreicht werden.“