In GedenkenWir erinnern an das ehemalige „Judenhaus“ in der Herschelstraße 31
Gegen das Vergessen: Gedenktafel zum ehemaligen „Judenhaus“ in der Herschelstraße enthüllt
In der Herschelstraße 31 in Hannover hat der heutige SoVD 1957 seine Landesgeschäftsstelle erbaut. Erst viele Jahrzehnte später erfuhr der Verband bei einem Besuch der Gedenkstätte Ahlem, dass sich auf seinem Grundstück von 1941 bis 1943 ein sogenanntes „Judenhaus“ befand. Seitdem hat Nancy Widmann, Historikerin und Leiterin der Abteilung Organisation beim SoVD in Niedersachsen, nach den Geschichten und Schicksalen der damaligen Bewohner*innen geforscht und versucht, nachzuvollziehen, was sich in der Herschelstraße während der Nazi-Zeit ereignet hat. Gemeinsam mit der Stadt Hannover, der Zeitzeugin Ruth Gröne, die als Kind in dem „Judenhaus“ leben musste, und der Historikerin Dr. Marlis Buchholz arbeitete der SoVD die Geschehnisse auf. Ein wichtiger Teil dessen war die Entwicklung einer Gedenktafel in Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt Hannover: Im Rahmen einer Veranstaltung am 9. Oktober 2024 enthüllten der SoVD-Vorstandsvorsitzende Dirk Swinke und Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay gemeinsam die Stadttafel zum dauerhaften Erinnern an das ehemalige „Judenhaus“ und seine Bewohner*innen.
Seit mehr als 100 Jahren setzt sich der SoVD für Toleranz, gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen das Vergessen ein. Deshalb war es Niedersachsens größtem Sozialverband besonders wichtig, die Geschichte des „Judenhauses“ in der Herschelstraße aufzuarbeiten. Dort lebten zahlreiche Jüdinnen und Juden, zumeist in „Mischehen“, unter widrigen Bedingungen und waren Kontrolle sowie brutaler Gewalt und Willkür der Gestapo ausgeliefert.
Grußworte des Oberbürgermeisters und des SoVD-Vorstandsvorsitzenden
In Kooperation mit der Landeshauptstadt Hannover erarbeitete der SoVD eine Stadttafel, die seit dem 9. Oktober 2024 an der Fassade des Hauses an die Bewohner*innen erinnert. „Ich danke dem Sozialverband Deutschland, auf dessen Initiative und mit dessen Erlaubnis die Stadttafel an ihrer Landesgeschäftsstelle angebracht werden konnte. Sie ist Teil eines Gesamtkonzepts für die Erinnerung an die sogenannten ‚Judenhäuser‘ in Hannover. Ausgehend von der geplanten städtischen Informationstafel zum ehemaligen ‚Judenhaus‘ in der Lützowstraße sollen künftig Stadttafeln an den Orten der ehemaligen ‚Judenhäuser‘ aufgehängt werden und so die Erinnerung und das Gedenken an die Menschen lebendig halten, die unter der Nazi-Herrschaft zwangsweise in diesen Häusern leben mussten“, sagte Oberbürgermeister Belit Onay bei der Gedenkveranstaltung in der SoVD-Landesgeschäftsstelle.
„Der Einsatz für Demokratie und Solidarität ist ein wesentlicher Eckpfeiler unseres Verbands – nicht zuletzt, weil einige unserer Gründer in Konzentrationslagern ermordet wurden. Es ist unsere Verantwortung, auf das Schicksal der Opfer des grausamen Nazi-Regimes aufmerksam zu machen und daran zu erinnern. Das tun wir mit der Aufarbeitung der Geschichte des ehemaligen ‚Judenhauses‘“, betonte Dirk Swinke, Vorstandsvorsitzender des SoVD in Niedersachsen. Man müsse auch sicherstellen, dass sich solche unmenschlichen Verbrechen niemals wiederholen können. Es sei auch heute notwendig, wachsam zu bleiben und sich entschieden gegen Anfeindungen und Hass zu stellen. „Es ist unsere Pflicht, Antisemitismus, Rassismus und jeder Form von Diskriminierung entschlossen entgegenzutreten – immer und überall“, appellierte der SoVD-Vorstandsvorsitzende.
Erinnerungen der Hausbewohnerin Ruth Gröne
Die Zeitzeugin Ruth Gröne hatte den SoVD bei der Aufarbeitung und Recherche der Ereignisse intensiv unterstützt. „Ich freue mich sehr, dass es nach so vielen Jahren endlich zu diesem Gedenken gekommen ist“, sagte Gröne bei der Gedenkveranstaltung. Sie hatte schon lange den Wunsch nach einem Gedenken an die Bewohner*innen des ehemaligen „Judenhauses“, wie sie dem SoVD erzählte. Gemeinsam mit ihren Eltern musste die damals achtjährige Gröne ab dem 25. Oktober 1941 in der Herschelstraße 31 wohnen. Der Familie war ein Erkerzimmer auf der ersten Etage – über einem Zwischengeschoss – zugewiesen worden. Als Kind erlebte Gröne hier die alltägliche Angst und Gewalt.
In ihrem Bericht bei der Eröffnung der Gedenkveranstaltung schilderte sie: „Unter der Bezeichnung ‚Kontrolle‘ kamen mehrmals in der Woche alkoholisierte Gestapo-Beamte zu später Stunde in das Haus und trieben die Bewohner – Männer, Frauen, alte Leute und Kinder – unter höchster Eile mit Gebrüll, Schlägen und Tritten durch das Treppenhaus in den Keller. Die Männer mussten sich separat aufstellen und wurden mit Knüppeln und Reitpeitschen geschlagen. Oder gezwungen, sich gegenseitig zu verprügeln bis sie am Boden lagen; unfähig, alleine wieder aufzustehen. Meine Mutter drückte mein Gesicht fest an ihren Körper und hielt meine Ohren zu. Trotzdem sah ich die Folterungen und hörte die Schreie. Die Angst um meinen Vater, die Misshandlungen könnten auch ihn treffen und wir müssten es mit ansehen, hat meine Mutter den Mut aufbringen lassen, bei der nächsten Attacke den Gestapo-Beamten um Erlaubnis zu bitten, mit mir zurück in unser Zimmer zu gehen. Mit einer Handbewegung hat er es geduldet. Unter der Bettdecke konnten wir im zweiten Stock die Kommandos und die Schmerzensschreie hören.“
An die Zerstörung des Gebäudes bei einem der schwersten Bombenangriffe auf Hannover und die Flucht aus dem Schutzkeller erinnert sich die Zeitzeugin bis heute sehr genau: „Auch die Herschelstraße 31 stand in kurzer Zeit in Flammen. Rauch drang in den Keller. Wir mussten raus aus dem Haus, uns ins Freie retten, um nicht zu ersticken oder zu verbrennen. Wolldecken wurden in Wannen mit Löschwasser getaucht. Mein Vater hängte mir eine nasse schwere Decke um, umfasste mich und wir rannten in Richtung Celler Straße. Meine Mutter hinter uns her, in der Handtasche wichtige Dokumente. Unter der Bahnbrücke hatten wir etwas Schutz vor den Flammen, der Hitze und dem Funkenflug, der durch das Feuer entstanden war. Wir hatten das Wichtigste gerettet: unser Leben.“
Zwangsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung
In der Herschelstraße 31 wurden im Rahmen der sogenannten „Aktion Lauterbacher“ im September 1941 hannoversche Jüdinnen und Juden zwangseingewiesen. Mehr als 1.200 jüdische Bürger*innen mussten Anfang September 1941 innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen räumen und wurden gezwungen, in 15 sogenannte „Judenhäuser“ im Stadtgebiet zu ziehen. Das Wohn- und Geschäftshaus Herschelstraße 31, das der jüdischen Familie Klompus gehörte, zählte zu diesen Häusern. Anfang Dezember 1941 lebten etwa 150 jüdische Mieter*innen im überbelegten Haus.?Am 15. Dezember 1941 wurden 85 von ihnen nach Riga deportiert, rund 40 mussten in andere „Judenhäuser“ umziehen. Neu hinzu kam eine Gruppe in „Mischehe“ lebender Juden mit ihren Ehefrauen. Bei der Ausbombung des Hauses am 9. Oktober 1943 wohnten hier noch ungefähr 60 Menschen.
Umfassende Informationen zum ehemaligen „Judenhaus“ stellt der SoVD dauerhaft auf seiner Website unter www.sovd-nds.de/gedenken bereit. Hintergrundinformationen sind außerdem bei der Landeshauptstadt Hannover unter www.hannover.de/judenhaeuser abrufbar.







