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Auf Norderney stehen gelassenBusunternehmen weigert sich, Anhänger für behindertes Kind zu transportieren

Eigentlich wollte Domenik Jung ein paar entspannte Tage mit seiner Familie auf der Nordsee-Insel Norderney verbringen. Vor allem wollte er seinem Sohn Mika den Strand zeigen. Als die Familie aus Hemmingen sich allerdings mit dem Bus auf den Weg dorthin machen wollte, fingen die Probleme an. Denn: Mika ist aufgrund seiner schweren Behinderung auf den Transport in einem Fahrradanhänger angewiesen. Den wollte der Busfahrer jedoch nicht mitnehmen – aus Sicherheitsgründen. Die Familie Jung fühlt sich diskriminiert und beschwert sich. Die Folge: Eine Abmahnung und eine Geldforderung vom Anwalt des Busunternehmens.

Seit seiner Geburt ist der zehnjährige Mika Jung aus Hemmingen schwerbehindert – sowohl geistig als auch körperlich. Da er einen Rollstuhl nicht nutzen kann, transportieren die Eltern ihn bei Ausflügen in einem Fahrrad-Anhänger der Firma Thule. Das hat bisher auch immer gut geklappt. „Egal, ob hier zuhause oder unterwegs im Urlaub, wir konnten den Anhänger problemlos mitnehmen“, erzählt Vater Domenik. Wenn der Anhänger zu groß sein sollte, könne man ihn auch bequem zusammenfalten.

Familie an Haltestelle stehen gelassen

Als die Familie am 25. Mai 2023 während ihres Norderney-Urlaubs an den Strand fahren wollte, gab es allerdings Probleme. „Wir wollten den Bus um 9.40 Uhr am Busbahnhof nehmen und dann zehn Minuten Richtung Strandpieper fahren. Der Plan war, auf dem Hinweg den Bus zu nutzen, den Rückweg wollten wir dann zu Fuß gehen“, berichtet Jung weiter. Doch der Busfahrer habe sich geweigert, den Anhänger mitzunehmen. „Er hat darauf verwiesen, dass dies in den Bussen aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt sei. Mein Sohn könne zwar mitfahren, aber eben ohne den Anhänger“, so der 36-Jährige. „Das ist natürlich völlig sinnlos, da mein Sohn den Anhänger zur Fortbewegung braucht.“ Auch der Hinweis auf die Schwerbehinderung des Kindes habe nichts geändert. „Ehrlich gesagt habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Kurz vorher haben wir eine andere Buslinie genutzt, da war die Mitnahme möglich. Außerdem werden ja auch Rollstühle mitgenommen. Der Anhänger misst 80 Zentimeter in der Breite, ist also nur ein bisschen breiter als ein Rolli. Zudem gibt es einen Gurt zur Befestigung und eine Feststellbremse. Ein höheres Sicherheitsrisiko als bei Golfbags, die man im Bus durchaus mitnehmen darf, sehe ich nicht“, kritisiert der Hemminger. Doch all diese Argumente zählen nicht, der Anhänger darf nicht mit. Die Familie gibt frustriert auf und besorgt sich stattdessen eine Fahrerlaubnis für die ansonsten weitestgehend autofreie Insel. „Das hat mich einen ganzen Urlaubstag gekostet“, erinnert sich Jung.

Juristische Abmahnung und Geldforderung nach Kritik

Wieder zuhause angekommen, ihm das Ganze keine Ruhe. Er sieht seinen behinderten Sohn benachteiligt, schreibt unter anderem die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) an und verfasst eine negative Rezension bei Google. Mit drastischen Konsequenzen: Wenig später erhält die Familie ein Schreiben eines Rechtsanwalts, den das Busunternehmen Fischer eingeschaltet hat. Der Anwalt mahnt Jung ab und fordert die Entfernung der Rezension sowie eine Entschuldigung unter anderem bei der LVNG und der Stadt Norderney. Außerdem soll er über 300 Euro Abmahngebühr bezahlen. Den Vorwurf der Diskriminierung weist der Anwalt zurück und macht – ebenso wie die LNVG – deutlich, dass es kein Anrecht auf den Transport einer Sache gebe.

SoVD bemängelt Reaktion des Busunternehmens

Jung ist ratlos und wendet sich an den SoVD. „Offensichtlich haben weder die LVNG, das Busunternehmen noch der Anwalt die Problematik richtig verstanden“, ist er sich sicher. Bei dem Anhänger handele es sich schließlich nicht einfach nur um eine Sache, sondern um ein Hilfsmittel für seinen Sohn.

Auch der SoVD ist irritiert über die Herangehensweise. „Im Sinne der Inklusion wäre an dieser Stelle ein anderes Vorgehen angemessen gewesen. Ohne diesen Anhänger kann Mika nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Unserer Auffassung nach hätte es definitiv eine andere Lösung geben müssen“, betont Katharina Lorenz, Abteilungsleiterin Sozialpolitik beim SoVD in Niedersachsen. Ihr Kollege und Jurist Frank Rethmeier ist vor allem überrascht darüber, dass das Busunternehmen gleich einen Anwalt eingeschaltet hat. „In einem Gespräch hätte man die Angelegenheit bestimmt regeln können“, ist er sich sicher. In seinen Augen werde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

Jung hat zwar seine Google-Rezension überarbeitet und die anderen Beteiligten informiert, dem Busunternehmen und dem Anwalt geht das jedoch nicht weit genug – sie bestehen auf die Geldzahlung.

Busunternehmen hält an Richtlinien und Gebühr fest

Der SoVD bittet das Busunternehmen um eine Stellungnahme, um das Ganze besser einschätzen zu können. Auch hier antwortet der Anwalt und weist erneut auf das Thema Sicherheit hin. Zudem seien die Fischer-Busse aufgrund anderer Einsatzbedingungen im Gegensatz zu den anderen Bussen auf der Insel nicht auf die Beförderung von Fahrradanhängern ausgelegt. „Ein Fehlverhalten unserer Mandantschaft ist nach alledem in keiner Weise erkennbar“, heißt es in dem Schreiben. „Das mag ja prinzipiell stimmen. Allerdings werden durch diese starren Vorgehensweisen behinderte Kinder, die auf so einen Anhänger angewiesen sind, ausgeschlossen. Für uns heißt Inklusion aber auch, Lösungen für solche Probleme zu finden und sich nicht nur an starren Richtlinien festzuhalten“, sagt Lorenz.

Auch Jung hätte sich einen anderen Verlauf gewünscht und sieht es nicht ein, die Abmahngebühr zu zahlen. Da der Anwalt bereits gerichtliche Schritte angedroht hat, ist er sich sicher, dass es keine einvernehmliche Einigung mehr geben wird: „Der Fall wird bestimmt vor Gericht landen. Schade, dass das nötig ist, um meinem Sohn mehr Teilhabe zu ermöglichen.“