Zweite Auflage der Broschüre "Absturzgefahr" liegt vor
Die Landesarmutskonferenz warnt gemeinsam mit dem DGB vor einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich in Niedersachsen. Als Folge der Reformen auf Bundesebene in den Bereichen Rente, Gesundheit und Arbeitsmarkt sowie als Konsequenz des strikten Kürzungskurses der niedersächsischen Landesregierung sei zu befürchten, dass das Armutsrisiko stark zunehme, sagte Dr. Antje Richter, Sprecherin der niedersächsischen Landesarmutskonferenz. Bei der Vorstellung der neu aufgelegten Broschüre mit dem Titel „Absturzgefahr. Sozialabbau – Auswirkungen und Alternativen.“ sagte sie heute (Donnerstag): „Das Armutsrisiko steigt besonders bei Kindern und Jugendlichen, Familien mit mehr als drei Kindern, Alleinerziehenden und Erwerbslosen sowie ausländischen Mitbürgern.“ Landesarmutskonferenz und DGB forderten das niedersächsische Sozialministerium deshalb auf, einen regelmäßigen ausführlichen Armuts- und Reichtumsbericht zu erstellen, um die Auswirkungen des Sozialabbaus zu erfassen und wirksam gegensteuern zu können.
Dr. Antje Richter kritisierte, dass durch die Veränderungen im Rahmen der Gesundheitsreform in erster Linie die Versicherten schmerzliche Mehrbelastungen für ihre gesundheitliche Versorgung tragen mussten, während die Kassen spürbar finanziell entlastet worden sind. Die Ausgliederung von Leistungen sowie die Erhöhung bzw. Ausweitung von Zuzahlungen habe dazu geführt, dass sich die Situation derjenigen Patienten verschärft habe, die besondere gesundheitliche oder soziale Probleme haben. Antje Richter sagte: „Vor allem ärmere, ältere und chronisch kranke Menschen haben im letzten Jahr notwendige Arztbesuche hinausgezögert oder weniger Medikamente eingenommen. Das hat schwerwiegende langfristige Folgen für ihre Gesundheit und für die gesamten Gesundheitsausgaben.“
Ulrich Gransee, DGB-Abteilungsleiter für Arbeitsmarktpolitik, erklärte, dass die verkürzte Bezugsdauer und die abgesenkte Leistung beim Arbeitslosengeld (ALG) II zu einem höheren Armutsrisiko bei Arbeitslosen führen werde. Gransee kritisierte, dass durch Hartz IV der Druck auf Arbeitslose erhöht wird, jede Arbeit anzunehmen. Der DGB fordert, die Zumutbarkeitsregelung zu ändern: „Arbeit darf nur dann zumutbar sein, wenn tarifliche oder zumindest ortsübliche Löhne gezahlt werden, da sonst das Lohnsystem ins Rutschen kommt.“ Die Regelleistung in den neuen Bundesländern von 331 Euro müsse auf das West-Niveau von 345 Euro angehoben und langjährig Beschäftigte durch einen erhöhten Zuschlag zum ALG II deutlich besser gestellt werden. Für Ein-Euro-Jobs forderte Gransee klare Kriterien: „Ein-Euro-Jobs dürfen reguläre Arbeit nicht verdrängen.“
Antje Möllmann, Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes, Landesverband Niedersachsen, befürchtet, dass durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum ALG II die Zahl der Kinder, die auf Sozialgeld angewiesen sind, bundesweit auf 1,5 Millionen ansteigen wird. Nach einer Faustformel wären das in Niedersachsen rund 150.000 Kinder. Möllmann: „Jedes zehnte Kind wird dann auf Sozialhilfeniveau leben müssen. Kinder zu haben, ist nach wie vor das Armutsrisiko Nummer 1 in Deutschland.“ In Armut aufzuwachsen hat gravierende Folgen für die Zukunftschancen der Kinder, da die soziale Lage den schulischen Erfolg mitbeeinflusst. Möllmann sagte, es sei ein deutliches Zeichen für eine verfehlte Familienpolitik, dass Deutschland die höchste Kinderarmutsquote und gleichzeitig die niedrigste Geburtenrate in Europa habe. Sie forderte die Landesregierung auf, endlich gegenzusteuern, da sich sonst die Krise der sozialen Sicherungssysteme weiter verschärfen würde.
Meike Janßen, Abteilungsleiterin Sozialpolitik beim SoVD Niedersachsen, kritisierte, dass die Rentenpolitik auch 2005 zu Lasten von Rentnerinnen und Rentnern gehen werde. Zwar wird es nach der Renten-Nullrunde 2004 zum 1. Juli 2005 wieder eine Rentenanpasssung geben. Diese wird aber deutlich geringer als in den vergangenen Jahren ausfallen, da zum ersten Mal die neue Rentenanpassungsformel mit dem sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor angewandt wird. Außerdem wird nach dem neuen Alterseinkünftegesetz die Besteuerung der Renten geändert. Meike Janßen stellt fest: „Auch wenn der Großteil der heutigen Rentnerinnen und Rentner von der geplanten Reform der Rentenbesteuerung nicht betroffen sein wird, setzt die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf ihren Kurs des Sozialabbaus fort.“ Für 2005 zeichnet sich daher faktisch erneut eine Minusrunde ab. Um die finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung nachhaltig zu verbessern, fordert der SoVD die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung und eine aktive Beschäftigungspolitik. Der Sozialverband setzt sich außerdem für eine höhere Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein.
Die gemeinsam vom DGB und der Landesarmutskonferenz neu aufgelegte und aktualisierte Broschüre „Absturzgefahr.“ erläutert auf 64 Seiten die Auswirkungen von Streichungen und Kürzungen und diskutiert Alternativen zum Sozialabbau wie Erbschafts-, Vermögens- und Kapitalertragssteuer. Neu sind Beiträge zur „Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland“ von Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster, FH Rheinland Westfalen-Lippe, zur Frage „Wohnungslose – Zuwachs durch Hartz IV“ von Peter Szynka von der Diakonie Oldenburg, über „Arme Kinder, armes Deutschland“ von Antje Möllmann, Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes, Landesverband Niedersachsen, zum Thema „Arme Familien – arme Gesellschaft“ von Angela Halberstadt, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände Niedersachsen, über „Allein gelassene Ein-Eltern-Familien“ von Gudrun Sixtus, Verband alleinerziehender Mütter und Väter in Niedersachsen.
An der Broschüre beteiligt haben sich neben der Landesarmutskonferenz und dem DGB-Bezirk Niedersachsen - Bremen - Sachsen-Anhalt die Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V., die Zentrale Beratungsstelle Wohnungslosenhilfe Oldenburg, der Sozialverband Deutschland (SoVD), Landesverband Niedersachsen, die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände Niedersachsen (AGF), der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) Landesverband Niedersachsen, der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) Landesverband Niedersachsen, der niedersächsische Flüchtlingsrat und attac.
Die Broschüre „Absturzgefahr! Sozialabbau. Auswirkungen und Alternativen.“ ist gegen einen Unkostenbeitrag von 0,50 Euro pro Exemplar plus Porto zu beziehen bei der
Landesarmutskonferenz Niedersachsen,
c/o ZEPRA e.V., Dreyerstraße 6, 30169 Hannover
Telefon 0511-1319930, Fax 0511-1316750
zepra.niedersachsen@t-online.de.
Sie können die Broschüre auch <link content downloads pdf absturzgefahr2005.pdf _blank>hier als PDF-Datei [~302kB] herunter laden.