Bundesteilhabegesetz: Noch ein weiter Weg bis zu echter Teilhabe
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V., der Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen e.V., der Lebenshilfe Landesverband Niedersachsen e.V. und der SoVD Landesverband Niedersachsen e.V. begrüßen die Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes durch den Bundesrat. „Die jetzt beschlossene Fassung beinhaltet wichtige Änderungen, für die sich unsere Verbände, vor allem aber unzählige Menschen mit und ohne Behinderung in den vergangenen Monaten starkgemacht haben“, sagt Birgit Eckhardt, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen e.V. „Aber nach wie vor enthält das Gesetz Passagen, an denen wir Kritik üben müssen.“
Holger Stolz, Geschäftsführer des Lebenshilfe Landesverbands Niedersachen e.V., sieht das ähnlich: „Das Gesetz geht nicht weit genug“, sagt er. „Echte Teilhabe von Menschen mit Behinderung wird dadurch noch nicht möglich. Deshalb werden wir uns auch in Zukunft für Verbesserungen einsetzen.“ Auch SoVD-Landesgeschäftsführer Dirk Swinke sieht Licht und Schatten: „Teilweise liefert dieses Gesetz nicht einmal richtige Integration ab – allerdings hat unser Druck gewirkt, es wurde im Vergleich zur ersten Version vielfach verbessert.“ Hans-Werner Lange, Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverbands Niedersachsen e.V. (BVN), hebt das gute Zusammenwirken der Organisationen im Vorfeld hervor: „Die Vorlage eines Bundesteilhabegesetzes, das für viele Betroffene gravierende Verschlechterungen vorsah, hat zu einer engen Zusammenarbeit der verschiedenen Behinderten- und Sozialverbände geführt. Das macht Hoffnung auf die Zukunft, in der noch einiges zu tun ist.“
„Die vielen Protestaktionen in diesem Jahr haben gezeigt, dass Menschen mit Behinderung ein Teil unserer Gesellschaft sind“, sagt Birgit Eckhardt, „und dass sie für ihre Rechte zu kämpfen bereit sind. Dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf an 68 Stellen nachgebessert hat, das können sie sich ans eigene Revers heften.“ Eingliederungshilfe und Pflegeleistungen können weiterhin parallel in Anspruch genommen werden; zwangsweise Umzüge ins Pflegeheim aus Kostengründen werden unwahrscheinlich; die Arbeitsförderung für Beschäftigte in den Behindertenwerkstätten wird verdoppelt: „Es ist sehr erfreulich, was wir gemeinsam erreicht haben“, sagt Holger Stolz. „Aber der Protest darf jetzt nicht enden.“
Denn es steht weiterhin im Gesetz, dass Menschen ein „Mindestmaß verwertbarer Arbeitsleistung“ erbringen können müssen, um einen Platz in einer Behindertenwerkstatt zu erhalten. Auch die „Wirksamkeitsprüfung“ von Maßnahmen der Eingliederungshilfe ist immer noch vorgesehen, und das umstrittene „Poolen“ wurde zwar für Leistungen im Wohnumfeld gestrichen, gilt aber immer noch für Freizeitmaßnahmen. „Wenn ein Betreuer vier Menschen begleiten muss, wollen zwei zum Fußball, einer auf den Weihnachtsmarkt und der vierte ins Kino“, sagt Holger Stolz. „Dann gibt es Zwangslösungen. Mit einem selbstbestimmten Leben, mit Teilhabe, hat das nichts zu tun.“
BVN-Geschäftsführer Lange bekräftigt die Forderung nach weiteren Veränderungen: „Einerseits konnten geplante Härten wie beim Zugang zur Eingliederungshilfe verhindert werden, aber im Grunde geht es nicht um die Sicherung des Status Quo. Im Gegenteil wir brauchen dringend eine Weiterentwicklung, beispielsweise in den Bereichen Bildung und Arbeit.“ Auch Dirk Swinke hofft für den SoVD darauf, „dass es irgendwann ein Bundesteilhabegesetz gibt, das seinen Namen wirklich verdient“.
„Dass Bundestag und Bundesrat das Gesetzt jetzt verabschiedet haben, ist ein erster Schritt“, sagt Birgit Eckhardt. „Nun müssen wir uns erst einmal dafür einsetzen, dass hier in Niedersachsen das Gesetz auch gut umgesetzt wird. Dann gilt es weiter daran zu arbeiten, dass Menschen mit Behinderung endlich ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft werden.“
Mit dem Bundesteilhabegesetz plant das Arbeitsministerium die größte Reform der Behindertenhilfe seit Jahrzehnten. Allerdings steht das Gesetzesvorhaben seit Monaten in der Kritik. Nicht nur Verbände und politische Gremien, sondern vor allem Behinderte selbst protestieren dagegen. Allein bei einer Demonstration im September gingen in Hannover mehr als 7000 Menschen gegen das Gesetz auf die Straße, die meisten davon selbst Menschen mit Behinderung. Organisiert hatte diese Kundgebung das Bündnis aus dem Paritätischen und seinen Mitgliedsorganisationen Lebenshilfe Landesverband Niedersachsen e.V., Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen e.V., und Sozialverband Deutschland Landesverband Niedersachsen e.V. Beteiligt waren außerdem die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte, der Landesverband der Bewohnervertretungen, der Sozialverband VdK Niedersachsen, der DGB Niedersachsen und das Deutsche Taubblindenwerk Niedersachsen sowie das Forum Artikel 30.