Jürgen Heise, DGHS-Kontaktstelle Hannover: - Sterbehilfe im Europäischen Kontext
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich vertrete heute die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, um Ihnen über Sterbehilferegelungen in den deutschen Nachbarländern zu berichten. Voraus aber die Frage in unserem Namen: Was bedeutet Humanes Sterben? Wir verstehen darunter den Wunsch nach einem menschenwürdigen Sterben. Das heißt, der einzelne Mensch bestimmt aus seiner persönlichen Würdevorstellung die Grenzen des ärztlichen Handelns - oder der Unterlassung.
Aus diesen Überlegungen heraus hat unsere Gesellschaft bereits vor über 20 Jahren ihren Patientenschutzbrief erarbeitet, ihn im Laufe der Jahre fortentwickelt und den rechtlichen Veränderungen angepasst. Einige kurze Erläuterungen zur Gesellschaft selbst: 1980 als eingetragener Verein gegründet, derzeit fast 40.000 Mitglieder, als gemeinnützig anerkannt. Zu unseren Zielen gehört unter anderem: Die Durchsetzung des Patientenwillens im Leben - aber auch im Sterben, die Verbesserung der Sterbekultur, insbesondere eine Verbesserung der Palliativmedizin und der Schmerztherapie.
Zu meiner Person: Ich bin ehrenamtliche Mitarbeiter der Gesellschaft und vor zwei Jahren von den Delegierten, den jeweiligen Vertretern aus den Regierungsbezirken der Bundesrepublik, in den Vorstand gewählt worden.
In dem vorherigen Vortrag ist bereits auf das niederländische Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung aufmerksam gemacht worden. Aus der Broschüre, die das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten herausgegeben hat, ergibt sich die Frage, ob und wenn ja, wie die Strafbarkeit der Sterbehilfe eingeschränkt werden soll. Die Niederlande sind seit fast 30 Jahren Gegenstand einer breiten Diskussion in der Gesellschaft und der Politik. Mit der Aufnahme eines besonderen Strafausschließungsgrundes werden besondere Sorgfaltskriterien vorausgesetzt. In den Niederlanden war man sich bewusst, dass Ärzte immer häufiger Entscheidungen treffen, die direkt mit dem Lebensende zusammenhängen. Ursachen hierfür sind unter anderem der Fortschritt im Bereich der lebensverlängernden medizinischen Technologien sowie die relative Zunahme der Krebserkrankungen.
Die einzelnen Sorgfaltskriterien, die der Arzt beachten muss, sind folgende:
- Er muss sich davon überzeugt haben, dass der Patient seine Bitte freiwillig und nach reiflicher Überlegung gestellt hat.
- Er muss sich davon überzeugt haben, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden unerträglich ist.
- Er muss den Patienten über seine Situation und über die ärztliche Prognose informiert haben.
- Er muss gemeinsam mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt sein, dass es für seine Situation keine andere annehmbare Lösung gibt.
- Er muss mindestens einen anderen unabhängigen Arzt zu Rate gezogen haben, der den Patienten untersucht und schriftlich zu den gleichen Voraussetzungen Stellung genommen hat.
- Er muss bei der Lebensbeendigung oder bei der Hilfe zur Selbsttötung mit medizinischer Sorgfalt gehandelt haben.
Ärzte sind nicht verpflichtet, einer Bitte um Sterbehilfe zu entsprechen.
Warum besteht Bedarf an Sterbehilfe?
Auf die beste Schmerzbehandlung kann nicht verhindern, dass einige Patienten in der terminalen Lebensphase ihr Leiden als unerträglich empfinden. Für diese Patienten kann Sterbehilfe der würdige Abschluss einer guten palliativen Betreuung sein.
Die Schweiz hat keine Regelung über aktive Sterbehilfe so wie in der niederländischen Form einer Tötung auf Verlangen. Beihilfe zur Selbsttötung ist in der Schweiz unter einer bestimmten Bedingung straffrei. Die Beihilfe ist zulässig, wenn sie ohne selbstsüchtige Beweggründe geleistet wird.
Die Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften hat hierzu Richtlinien im Februar dieses Jahres neu erlassen ('Betreuung von Patienten am Lebensende'). Ich möchte hieraus die wichtigsten Punkte zitieren:
- Jeder Patient hat das Recht aus Selbstbestimmung. Voraussetzung für die Willensbildung ist eine verständliche Aufklärung.
- Respektierung des Patientenwillens stößt dann an ihre Grenze, wenn ein Patient Handlungen verlangt, welche mit der persönlichen Gewissenshaltung des Arztes nicht vereinbar sind oder gegen die Regeln der ärztlichen Kunst oder gegen das geltende Recht verstoßen.
- Auf der einen Seite ist Beihilfe zum Suizid nicht Teil ärztlicher Tätigkeit. Auf der anderen Seite hat er den Willen des Patienten zu achten. Das kann auch bedeuten, dass eine persönliche Gewissensentscheidung des Arztes, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu leisten, zu respektieren ist.
- Der Arzt hat dann ähnliche Sorgfaltskriterien zu beachten, wie wir sie aus der Darstellung der niederländischen Regelung erfahren haben
- Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme , dass das Lebensende nahe ist.
- Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit gewünscht auch eingesetzt.
- Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen, ohne äußeren Druck entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer dritten Person überprüft, wobei diese nicht zwingend ein Arzt sein muss. - Die Tötung eines Patienten (auch aktive Sterbehilfe genannt) ist vom Arzt auch bei ernsthaften und eindringlichen Verlangen des urteilsfähigen Patienten abzulehnen.
Anders als in den Niederlanden setzen die Schweizer Richtlinien keinen lang anhaltenden Kontakt und ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient voraus. Das hat es möglich gemacht, dass auch Nichtschweizer die Beihilfe zum Suizid erhalten können. Aus Zeitungen, Zeitschriften oder durch einige Fernsehberichte sind Sie als interessierte Bürger sicher darüber unterrichtet. Deshalb kann ich mich bei meiner Darstellung kurz fassen:
- Man muss Mitglied einer Schweizer Sterbehilfegesellschaft werden,
- seine Erkrankung durch mindestens ein ärztliches Attest nachweisen,
- einen mehrfachen begründeten Wunsch äußern, ein als unwürdig empfundenes baldiges Sterben zu vermeiden,
- eine Untersuchung durch einen Schweizer Arzt, der ein entsprechendes Rezept ausstellt,
- die Aushändigung des Medikamentes geschieht an den Schweizer Sterbehelfer,
- es wird nur zur unmittelbaren Verwendung ausgehändigt.
Wenn der Tod im Beisein von zwei Schweizer Zeugen eingetreten ist, findet eine Kontrolle durch die Polizei statt.
Es ist verständlich, dass die Schweizer Behörden einen so genannten Sterbetourismus verhindern wollen. Deshalb plant z.B. der Kanton Zürich ein Suizidhilfegesetz. Er will darin z.B. regeln, dass eine oben geschilderte Beihilfe zum Suizid nur an Schweizer Bürgern erlaubt sein soll. Sterbehilfegesellschaften sollen einer staatlichen Bewilligung und Aufsicht bedürfen.
Ausblick Europa:
Der parlamentarischen Versammlung liegen zwei Berichte zur Sterbehilfe vor.
Der Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Familie sieht eine Bereitschaft bei manchen Ärzten und dem medizinischen Personal, unter bestimmten Bedingungen freiwillige aktive Sterbehilfe zu leisten. Der Ausschuss regt deshalb in den Mitgliedsstaaten eine Erhebung von Beweismaterial und eine öffentliche Diskussion hierüber an. Außerdem sollte eine Debatte darüber geführt werden, ob Gesetze wie in den Niederlanden und Belgien geschaffen werden sollten.
Der Ausschuss für Recht und Menschenrechte möchte statt der Zielrichtung freiwilliger aktiver Sterbehilfe nur die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung untersuchen lassen. Auch soll statt einer Debatte über nationale Regelungen ein Bericht in der parlamentarischen Versammlung vorgelegt und dort geprüft werden.
Meine Damen und Herren, sie können feststellen, dass Sie mit der heutigen Fachtagung und der Diskussion zu diesem Thema mit Ihrer Veranstaltung auf der Höhe der europäischen Rechtsentwicklung sind. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und stehe Ihnen für weitere Fragen gerne zur Verfügung.
Weitere Links:
<link _top>Elisabeth Wohlert, Landesfrauensprecherin: Eröffnungsrede
<link _top>Adolf Bauer, 1. Landesvorsitzender: Grußwort
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