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Senior*innen, Kranke und Pflegebedürftige sind besonders betroffenSoVD macht mit „Schwarzbuch sozial“ Ungerechtigkeiten öffentlich

Hannover. Am heutigen Mittwoch hat der Sozialverband Deutschland (SoVD) in Niedersachsen sein aktuelles „Schwarzbuch sozial“ mit den hanebüchensten Ungerechtigkeiten aus seinem Beratungsalltag vorgestellt: Da wird die Reha einer Patientin abgelehnt, die nach einer Corona-Infektion an Long Covid leidet und ihren Alltag kaum noch bewältigen kann. Da wird einer Frau plötzlich der Pflegegrad aberkannt, obwohl sie eine angeborene Behinderung hat und klar ist, dass sich ihr Gesundheitszustand nicht bessern wird. Da erkennt die Berufsgenossenschaft den Arbeitsunfall eines Zimmermanns an und nach mehr als zehn Jahren wieder ab, weil sie Angst vor den Kosten hat. Vielen dieser Fälle liegen wirtschaftliche Erwägungen und ungerechte Gesetze zugrunde. Deshalb stellt der SoVD ganz konkrete Forderungen an Behörden, Ämter und die Politik.

Recht haben und recht bekommen sind leider häufig zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Das zeigen die über 20 Fälle, die der SoVD in seinem „Schwarzbuch sozial“ veröffentlicht. Darin wird deutlich: Gerade Senior*innen, Kranke und Pflegebedürftige haben in der Corona-Pandemie großen Unterstützungsbedarf und sind besonders von den oft ungerechten Entscheidungen von Kranken- und Pflegekassen sowie Ämtern und Behörden betroffen.

„Viele Menschen haben Schwierigkeiten, wenn es um das Ausfüllen von Formularen und Anträgen oder die Begründung von Widersprüchen geht“, erläutert Bernhard Sackarendt, Landesvorsitzender des SoVD in Niedersachsen. Die Corona-Krise habe diese Problematik noch einmal verschärft. Hinzu komme, dass bei vielen Entscheidungen von Jobcentern, Kassen & Co. wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stünden und nicht die jeweilige Situation des*der Einzelnen.

Das zeige sich besonders deutlich im Bereich Pflege. Hier haben die SoVD-Verfahren um mehr als ein Drittel zugenommen. „Insbesondere, wenn es um die Beantragung eines Pflegegrades geht, sind viele Betroffene überfordert“, so Sackarendt. Hinzu komme, dass oftmals die abschließenden Entscheidungen des Medizinische Dienstes nicht nachvollziehbar seien, weil sie die jeweiligen Lebenssituationen nicht korrekt widerspiegeln und somit eine falsche Einstufung erfolgt. Das gelte vor allem für diejenigen, die in den Begutachtungssituationen unsicher sind und sich nicht richtig artikulieren können. „Das erzeugt bei vielen Pflegebedürftigen Unsicherheiten. Deshalb muss sich der Medizinische Dienst – trotz aller personeller und wirtschaftlicher Zwänge – besser mit der individuellen Lage der Betroffenen auseinandersetzen und an vielen Stellen sensibler agieren. Was da ansonsten alles schieflaufen kann, zeigen einige Schwarzbuch-Fälle“, sagt der Landesvorsitzende.

Mit dem „Schwarzbuch sozial“ will Niedersachsens größter Sozialverband auch bei der Politik den Finger in die Wunde legen. „Wir nutzen das Schwarzbuch dazu, um deutlich zu machen, welche negativen Konsequenzen zahlreiche Gesetze für Menschen haben, denen es ohnehin schon nicht gut geht“, erläutert Sackarendt.

Ein Beispiel dafür sei das Entlastungspaket, das aufgrund der hohen Energiepreise verabschiedet wurde. „Die Regelungen sind zwar ein erster positiver Schritt, dennoch ist das Paket nicht sozial ausgewogen. Insbesondere Grundsicherungs- und Hartz-IV-Empfänger*innen erhalten weniger als andere. Da muss dringend nachgebessert werden“, fordert der niedersächsische SoVD-Chef. Denn: „Unsere Zahlen zeigen, dass immer mehr Menschen Wohngeld oder finanzielle Unterstützung für Unterkunft und Heizung beantragen müssen. 2021 gab es eine Steigerung um 13 beziehungsweise über 33 Prozent bei den Verfahren. Wir merken aber auch, dass die Betroffenen trotz dieser Leistungen immer weniger Geld zum Leben haben.“ Deshalb müssten die Sätze für Grundsicherung und Hartz IV dringend erhöht werden.

Dass immer mehr Menschen auch mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben, belegen die „Schwarzbuch“-Fälle, aber auch die SoVD-Zahlen im Bereich der Erwerbsminderungsrente. „Die Verfahren zur Weitergewährung dieser Rente haben bei uns im vergangenen Jahr um mehr als 27 Prozent zugenommen“, erläutert Sackarendt. Das heißt: Die Betroffenen sind immer länger krank und können nicht arbeiten. Zahlen der Deutschen Rentenversicherung zeigen, dass über 40 Prozent der Betroffenen in Niedersachsen ihre Erwerbsminderungsrente aufgrund einer psychischen Erkrankung erhalten. „Das können wir durch unsere Beratung nur bestätigen. Wir gehen davon aus, dass dieses Problem in der nächsten Zeit auch noch weiter zunehmen wird, da immer mehr Menschen psychisch unter den Auswirkungen der Corona-Krise leiden“, ist Sackarendt sich sicher. Hier müsse die Politik handeln – etwa indem sie die Versorgung mit Psychotherapie-Plätzen aus- und die psychischen Belastungen für Arbeitnehmer*innen in den Gesundheits-, Pflege- und Bildungsberufen abbaut.

Insgesamt vertritt der SoVD in Niedersachsen die Interessen von rund 280.000 Menschen. Und das mit Erfolg: 2021 hat er mehr als 41 Millionen Euro an einmaligen Nachzahlungen für seine Mitglieder erstritten. Das sind elf Prozent mehr als 2020.

Das „Schwarzbuch sozial“ steht hier zum Download bereit.