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Gesundheitszustand falsch beurteilt / Einschränkungen werden sich nicht bessernWenn der Pflegegrad auf einmal weg ist: SoVD kämpft für Mitglied

Obwohl Kerstin Günther eine Fehlbildung beider Arme und Hände hat, kommt eine Gutachterin des Medizinischen Dienstes (MD) zu dem Schluss, dass sie selbstständig genug ist, um ihren Alltag ohne Hilfe zu bewältigen. Ein bestehender Pflegegrad wird ihr von ihrer Pflegekasse aberkannt. Der SoVD unterstützt sie, damit sie die Hilfe erhält, die ihr zusteht.

Für Kerstin Günther überraschend steht im Mai 2019 eine Mitarbeiterin des Medizinischen Dienstes (MD) vor ihrer Haustür. Sie müsse ihren Gesundheitszustand überprüfen und feststellen, ob der Pflegebedarf dem aktuellen Pflegegrad entspreche, habe diese der 56-Jährigen mitgeteilt. Günther lässt die MD-Mitarbeiterin in ihre Wohnung, obwohl ihr diese Überprüfung laut eigener Aussage nicht angekündigt wurde. Sie habe zahlreiche Fragen beantworten müssen, berichtet Günther. „Ich hatte währenddessen das Gefühl, dass mir die Frau nicht richtig zuhört oder mich nicht verstehen will“, sagt sie. Am Ende des Besuchs habe ihr die MD-Mitarbeiterin eröffnet, dass sie den Pflegegrad wohl verlieren werde. Dann verlässt die MD-Mitarbeiterin die Wohnung. Günther bleibt ratlos zurück. „Im Juli erhielt ich dann ein Schreiben von der Techniker Krankenkasse, in dem man mir zur Besserung meines Gesundheitszustandes gratulierte und mir mitteilte, dass ich nun keinen Pflegegrad mehr benötige und somit kein Pflegegeld mehr erhalte“, sagt die fassungslose 56-Jährige aus dem Landkreis Wolfsburg. Aus ihrer Sicht seien viele der im Gutachten aufgeführten Punkte über ihren Gesundheitszustand nicht den Tatsachen entsprechend dargestellt worden.

Ergebnis der Beurteilung ist nicht nachvollziehbar

Warum die MD-Mitarbeiterin zu solch einer Beurteilung ihres Gesundheitszustandes gekommen ist, bleibt für Günther bis heute ein Rätsel, denn seit ihrer Geburt hat sie eine Fehlbildung an beiden Armen und Händen. Diese sind verkürzt und die Beweglichkeit aller Gelenke ist stark eingeschränkt. Zudem sind ihre Schultern nicht richtig ausgebildet. Außerdem sind die Beine betroffen, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie die Arme. Da sie auf Unterstützung angewiesen ist und der Bedarf an Hilfe stetig zunimmt, erhält sie 2009 eine Pflegestufe. Diese wird ohne weitere Überprüfung 2017 in den sogenannten Pflegegrad 2 übergeleitet. Noch im Januar 2019 wird Günther von ihrer Krankenkasse darüber informiert, dass ihr die Leistungen der Pflegeversicherung unverändert weitergewährt werden. „Weshalb nur wenige Monate später trotzdem eine Überprüfung stattgefunden hat, kann ich mir nicht erklären“, sagt sie.

Hilfe im Alltag dringend benötigt

Fest steht für sie, dass sie sich mit der Einschätzung der MD-Mitarbeiterin nicht abfinden will. Ihr Gesundheitszustand habe sich schließlich nicht verbessert, sondern verschlimmert. Arme und Hände kann sie immer schlechter bewegen. „Mit den Jahren habe ich Rückenprobleme bekommen, da ich ständig in einer Schonhaltung bin und außerdem Bewegungen machen muss, für die die Wirbelsäule nicht ausgelegt ist“, berichtet Günther. Zwar überlegt sie sich einige Strategien, um wenigsten einfache Tätigkeiten zu verrichten. Doch auch diese fallen ihr zunehmend schwerer. So schafft sie selbst das Heben eines Glases kaum noch. Beim Führen des Haushaltes ebenso wie bei der Körperpflege besteht Hilfebedarf. Ohne das Geld der Pflegekasse steht Günther nun vor großen Problemen. Ihre Schwester ist in dieser Situation für sie eine wichtige Stütze. Sie kommt jeden Tag für mehrere Stunden und hilft Günther, wo sie kann. „Ohne sie wäre ich richtig aufgeschmissen“, betont Günther.

Der SoVD kämpft für sein Mitglied gegen die ungerechte Entscheidung

Damit sie diese Auseinandersetzung um den Pflegegrad nicht alleine ausfechten muss, sucht sich Günther Unterstützung im SoVD-Beratungszentrum Wolfsburg. „Es hätte wegen der Einschränkungen, die Frau Günther aufgrund ihrer Behinderung hat, eigentlich völlig unstrittig sein müssen, dass bei ihr ein Pflegebedarf besteht“, sagt SoVD-Berater Dietmar Egel. Dass Günther in einigen Lebenslagen darum bemüht sei, selbstständig zu bleiben, sei indes kein Indiz dafür, dass sie völlig ohne Hilfe zurechtkommen könne. „Es kann ihr nicht zum Nachteil ausgelegt werden, dass sie trotz ihrer Behinderung das größtmögliche Maß an Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit erreichen will“, so Egel. Der SoVD legt sofort Widerspruch gegen die Entscheidung der Pflegekasse ein, auch weil Günther überzeugend darlegt, dass sich ihre Einschränkungen nicht bessern werden. „Wir haben der Krankenkasse mitgeteilt, dass im Fall von Frau Günther mit zunehmendem Alter sogar von einer Beschwerdezunahme und damit einhergehend mit Abnahme von Kompensationsmöglichkeiten auszugehen ist“, erklärt Egel.

Der Widerspruch des SoVD hat am Ende Erfolg. Es folgt eine Einigung mit der zuständigen Kasse zu Gunsten von Kerstin Günther. „Ich bin froh, dass ich meinen Pflegegrad behalten durfte und sich die Einstätzung der MD-Gutachterin als Fehler herausstellte“, sagt das SoVD-Mitglied. Dem Verband sei sie für die Hilfe beim Widerspruch sehr dankbar.