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MS-Kranke wartet fünf Monate auf EntscheidungGutachterin schätzt Pflegebedarf falsch ein

Mechthild Droste ist an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Nach einem schweren Schub stellt sie einen Antrag, um einen höheren Pflegegrad zu erhalten. Eine Gutachterin lehnt dies jedoch mit der Begründung ab, dass die schwerkranke Frau noch selbstständig genug sei, um sich im Alltag überwiegend eigenständig zu helfen. Tatsächlich ist Droste aber auf vielfältige Unterstützung angewiesen. Der SoVD hilft ihr schließlich bei der Durchsetzung des ihr zustehenden Pflegegrades.

Mechthild Droste hat MS mit vorherrschendem schubförmigem Verlauf. Vor rund zwei Jahren kommt es zu einem schweren Schub. Seitdem muss sie mit erheblichen gesundheitlichen Folgen leben: Sie kann ihre Hände kaum noch benutzen, da sie kein Gefühl mehr in ihren Fingern hat und auch das Stehen und Laufen ist ihr nur noch sehr eingeschränkt und mit Hilfsmitteln wie einem Rollator möglich. Vor allem ihr Ehemann und ihre Tochter stehen ihr in dieser schweren Zeit zur Seite und unterstützen sie. „Ich bin meinem Mann und meiner Tochter sehr dankbar, dass sie für mich da sind“, sagt die 66-Jährige.

Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt im Augustahospital Anholt, das auf die MS-Erkrankung spezialisiert ist, geben ihr 2019 die behandelnden Ärzte zu verstehen, dass sie mit Blick auf ihre fortschreitende Erkrankung einen höheren Pflegegrad bei der Krankenkasse beantragen solle. „Sie haben deutlich gemacht, dass ich Anspruch auf mehr Unterstützung durch die Pflegekasse habe“, so Droste.

Nach einem zweifelhaften Begutachtungstermin wird ein Gutachten mit falschen Angaben erstellt

Den Antrag auf die Gewährung des Pflegegrades 2 stellt sie umgehend. Nur wenige Wochen später steht ein Begutachtungstermin durch den Medizinischen Dienst (MD) an. Eine Mitarbeiterin des MD kommt dazu bei ihr zu Hause vorbei. „Da habe ich mich drauf eingestellt und es ist ja auch notwendig“, sagt die Emsländerin. Doch mit dem Vorgehen der Gutachterin bei diesem Termin zeigt sich die 66-Jährige überhaupt nicht einverstanden. „Das ging gar nicht, wie sich die Frau mir gegenüber verhalten hat“, sagt Droste: „Ich sollte mit ihr nach oben gehen und die Räume zeigen.“ Als sie aber angibt, dass sie nach dem Treppenaufstieg eine längere Pause brauche, sei dies der MD-Mitarbeiterin nicht schnell genug gegangen. „Die wurde richtig grantig“, erinnert sich Droste. Ihre Tochter habe dann die Räume gezeigt. Im weiteren Verlauf der Begutachtung habe sie dann gemerkt, dass ihr die Mitarbeiterin offenbar nicht mehr wohlgesonnen zu sein scheine. „Sie war sehr unfreundlich. Ich hatte den Eindruck, dass sie viele Dinge offensichtlich falsch aufgenommen hat, die ich ihr über meine Einschränkungen berichtet habe“, erklärt Droste. Wirklich ernst genommen fühlt sie sich nicht. Wenig überrascht ist Droste dann auch, als ihr von der Techniker Krankenkasse im Juni 2019 mitgeteilt wird, dass sie einen höheren Pflegegrad nicht bekommen werde

Die Begründung macht Droste noch heute wütend. „Das ging völlig an dem vorbei, was tatsächlich gesundheitlich mit mir los ist“, findet sie. So sei der tatsächliche Pflegeaufwand wesentlich höher als in der Begründung angegeben. Auch deute das Gutachten an, dass sie ihren Haushalt fast selbstständig führen könne. „Wie soll ich das mit meinen Einschränkungen machen? Ich kann nicht einmal das Essen in einem Topf umrühren“, erzählt Droste. Bei allen Haushaltsangelegenheiten und zum Teil auch bei der Körperpflege und beim Anziehen sei sie auf Hilfe angewiesen. „Das habe ich eigentlich auch deutlich gemacht“, sagt sie.

Der SoVD unterstützt beim Widerspruch

Droste zeigt das Gutachten ihren behandelnden Ärzten. Die raten ihr, Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen. Dazu holt sie sich Hilfe beim SoVD. Sozialberaterin Julia Mühlenbeck, die den Beratungsfall betreut, zeigt sich erstaunt, dass die schwer erkrankte Frau durch das Gutachten für praktisch gesund erklärt wird. „Frau Droste ist offensichtlich stark eingeschränkt und braucht täglich Unterstützung. Das haben Ärzte ebenfalls festgestellt“, erklärt Mühlenbeck. Sie könne sich deshalb nicht erklären, warum dies nicht entsprechend im MD-Gutachten vermerkt worden sei. Als die Sozialberaterin den Fall mit Droste durchspricht, schildert diese ihr den Gesprächsverlauf während des Gutachtens und besteht sofort darauf, dass bei der Folgebegutachtung ein*e andere*r MD-Mitarbeiter*in ihre gesundheitliche Situation beurteilen soll. „Das verdeutlicht, dass die Gutachterin einen sehr negativen Eindruck hinterlassen hat“, so Mühlenbeck.

Eine zweite Begutachtung findet erst Monate später statt

Überrascht ist Mühlenbeck zudem, dass in den Fall nur langsam Bewegung kommt. „Den fristwahrenden Widerspruch haben wir schon Ende Juni 2019 erhoben. Am 14. August habe ich mich telefonisch nach dem Sachstand erkundigt und die Aussage erhalten, dass die Unterlagen an den MD weitergeleitet wurden“, so die SoVD-Beraterin. Ihr sei mitgeteilt worden, dass der MD bei der Vergabe eines Termins für die Folgebegutachtung etwa drei Monate benötige. Doch erst im November kommt eine Antwort der Krankenkassen mit einem neuen Begutachtungstermin, der für Anfang Dezember angesetzt wird. „Das dauert viel zu lange“, findet Mühlenbeck. Droste sei jedoch kein Einzelfall. Einige Betroffene müssten sogar sechs Monate Wartezeit und damit entsprechende Nachteile in Kauf nehmen. Wenn es um eine Folgebegutachtung gehe, müsse schneller gehandelt werden, findet die Sozialberaterin. Der Pflegebedarf bestehe, wie bei Mechthild Droste, schließlich weiterhin. Wegen möglicher Fehler im Erstgutachten sei eine Versorgung der Betroffenen durchaus gefährdet. „Frau Droste hat ihren Mann und ihre Tochter, die sie unterstützen. Bei alleinstehenden Personen käme es aber zu Schwierigkeiten, wenn sie Hilfe benötigen, die sie aber nicht erhalten, wenn der Pflegegrad nicht passt“, so Mühlenbeck.

Dank des SoVD-Widerspruchs und des Einsatzes der Sozialberaterin kann schließlich erreicht werden, dass der MD ein neues Gutachten erstellt. Daraufhin wird dem Widerspruch zum Teil stattgegeben: Am 11. Dezember 2019 – nach über fünf Monaten – wird Mechtild Droste von der Pflegekasse mitgeteilt, dass sie rückwirkend ab dem 1. Juli 2019 den Pflegegrad 2 erhält.