Mehr Engagement der Politik für Forschung nötigME/CFS: „Die Rentenversicherung hat meine Gesundheit auf dem Gewissen“
Seit einem Infekt im Jahr 2019 leidet Annika W. (Name geändert) an ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) – einer schweren neuroimmunologischen Erkrankung. Auch wenn sie nicht mehr so belastbar ist wie früher, kann sie ihr Leben zunächst noch weitestgehend selbst bestreiten. Das ändert sich nach einer Reha. Seitdem ist sie bettlägerig. Das Problem: Die Krankheit ist kaum erforscht, meistens wird Annika W. von Ärzt*innen und Institutionen nicht ernst genommen. So etwa auch, als sie ihre Erwerbsminderungsrente verlängern lassen möchte.
Angefangen hat alles 2019, als Annika W. aus dem Landkreis Schaumburg einen grippalen Infekt hat. Nach der Erkrankung stellt sie fest, dass sie nicht mehr so belastbar ist wie früher. „Davor war ich sehr aktiv, habe drei- bis fünfmal die Woche Sport gemacht“, erzählt die 37-Jährige. Daran ist nun nicht mehr zu denken. Annika W. geht zum Arzt, doch dieser kann keine körperlichen Ursachen finden. Stattdessen vermutet er eine Depression und rät ihr, zu einem*einer Psychater*in zu gehen. „Dabei hatte ich überhaupt gar keine psychischen Symptome“, berichtet W.
Eine kaum erforschte Erkrankung
„Das ist eine Problematik, mit der die meisten ME/CFS-Erkrankten zu kämpfen haben“, ergänzt Annika W.s Freund, Oliver J. (Name geändert), der sich um sie kümmert und sie unterstützt. Obwohl es in Deutschland etwa eine Viertelmillion Betroffene gibt, sei die Krankheit kaum erforscht. „Das führt dazu, dass es weder Medikamente noch Heilung gibt. Das größte Problem ist aber die Stigmatisierung“, so Oliver J. weiter. Die Krankheit äußere sich einerseits durch körperliche Schwäche, aber auch durch die sogenannte „Post-Exertional Malaise“. Diese führe dazu, dass die Erkrankten sich schon nach den kleinsten körperlichen oder geistigen Anstrengungen enorm geschwächt fühlen, Schmerzen bekommen und sich ihr Zustand allgemein verschlechtert. „Da die Krankheit bei Ärzten und Institutionen kaum bekannt ist, werden die Symptome häufig als psychosomatisch eingestuft. Das ist aber nicht richtig und führt zu falschen Behandlungen“, weiß der 50-Jährige. Dabei gebe es an vielen Stellen wichtige Info-Portale – etwa die Internetseite der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS (www.mecfs.de), die auch Annika W. sehr weitergeholfen hat.
Annika W.s Gesundheitszustand verschlechtert sich nach einer Reha
So ist es auch bei Annika W. Ihr wird eine Reha-Maßnahme empfohlen, die die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auch genehmigt. Da sie selbst den Verdacht hat, an ME/CFS zu leiden, sucht sie sich eine entsprechende Reha-Klinik. „Leider konnte man dort mit meinen Symptomen nichts anfangen“, erzählt sie. Man habe mit ihr eine Aktivierungstherapie gemacht. „Diese Therapie war allerdings nachhaltig schädlich. Während ich mich vor der Reha mit guter Planung und Erholung noch mit Freunden treffen, einkaufen gehen und mein Leben selbst gestalten konnte, ging das danach nicht mehr. Ich war völlig platt“, berichtet W. Das Problem bei diesen sogenannten „Crashs“: Betroffene erholen sich häufig davon nicht mehr und bleiben in dem verschlechterten Zustand.
Bei der 37-Jährigen hat diese Überforderung in der Reha dazu geführt, dass sie mittlerweile in einem abgedunkelten Raum liegen muss, diesen nicht mehr verlassen kann und gefüttert werden muss. Nach der Reha erhält Annika W. den Pflegegrad 1. Innerhalb eines Jahres verschlechtert sich ihr Zustand rapide, mittlerweile hat sie Pflegegrad 4. „Man kann sagen, dass die Rentenversicherung meine Gesundheit auf dem Gewissen hat“, fasst sie zusammen.
Betroffene brauchen mehr Unterstützung
Durch die Erkrankung kann sie ihren ursprünglichen Job als Einrichtungsleiterin einer Kita nicht mehr ausüben. Deshalb erhält W. zunächst eine auf drei Jahre befristete Erwerbsminderungsrente. Diese muss nun verlängert werden, sie stellt einen entsprechenden Antrag. Dann die Überraschung: Die Rente wird wieder nur befristet gewährt, dieses Mal sogar nur für 15 Monate. Als Begründung führt die DRV an, dass in diesem Zeitraum eine Besserung eintreten könnte. Oliver J. ist empört: „Es gibt weder Medikamente noch eine angemessene Behandlung. Damit besteht auch keine Chance auf Besserung.“ Hilfesuchend wendet er sich an den SoVD, der ihn derzeit bei seinem Widerspruch unterstützt.
„Der Fall von Frau W. zeigt leider exemplarisch, womit Betroffene zu kämpfen haben. Und dass nur, weil die Politik sich weigert, Geld in die Forschung und Behandlung zu investieren“, erläutert Dirk Swinke, Vorstandsvorsitzender des SoVD in Niedersachsen. Auch Oliver J. kritisiert das Vorgehen der Politik: „Eigentlich sollten auf Bundesebene 100 Millionen in die Versorgungsforschung von Long Covid und ME/CFS gesteckt werden. Daraus ist aber nichts geworden, etwa 40 Millionen sind übriggeblieben. Das reicht bei Weitem nicht.“ Auch Swinke findet, dass sich mehr bewegen muss – vor allem auf Landesebene. „Die Politik kann sich nicht immer nur darauf zurückziehen, dass das Thema Bundessache ist. Auch in Niedersachsen kann vor Ort viel getan werden – etwa, wenn es um Anlaufstellen, die Versorgung oder die Aufklärung geht. Wir erwarten mehr Engagement“, betont er.